In einem schönen Land ein Völkchen war

Fallersleben » Politische Gedichte » ( 26. 01. 1840)

In einem schönen Land ein Völkchen war
das lebt´ in tiefem Frieden manches Jahr.
An einem König hatten sie genug,
gemein war allen, was der Boden trug,
nur daß sich jeder zweimal scheren ließ,
sonst war´ s ein Leben wie im Paradies

Ihr König hieß Leithammel nur schlechtweg,
er kannt´ im Lande jeden Weg und Steg,
war stets auf seines Volkes Heil bedacht
und führte sie gar gut bei Tag und Nacht.
Nie hörte man von Unzufriedenheit,
Umtrieben, Meuterei und Zwist und Streit

Doch schlichen eines Tags sich Böck´ herein.
Wo Böcke sind, wir immer Zwietracht sein.
Die Böck´ erhoben bald ein groß Geschrei:
Ihr Schafe wißt nur nicht – ihr seid nicht frei:
Das wahre Glück liegt in der freiheit nur,
und schuf uns nicht zur Freiheit die Natur ?

Da ward es erst den armen Schafen klar,
daß frei doch eigentlich kein einzig war.
Ihr Böcke, sprachen sie, ihr habt ganz Recht !
Nicht frei ist, scheint es, unser brav Geschlecht:
Tut alles, was ihr wollt, euch sei´ s vergönnt,
wenn ihr nur Freiheit uns gewinnen könnt

Doch war es schon vor Anbeginn der Nacht
dem edlen König alles hinterbracht.
Er sprach darauf: Wohlan, ich danke ab,
Ich lege heut´ schon nieder meinen Stab;
sobald ihr über das nur einig seid;
was dann geschehen soll, bin ich´ s bereit

Da fing im Volke Streit und Hader an,
daß eiligst jeder nach dem Stalle rann.
So war die Revolution vollbracht,
und keiner hat an Freiheit mehr gedacht.
Leithammel tut auch allen Schafen Not,
drum blieb er König bis an seinen Tod

Am andern Morgen las man überall:
Schafhausen hatte gestern auch Krawall;
Dank unserer umsichtsvollen Polizei,
es blieb beim Alten, alles ist vorbei.
Die Meuterer gingen zeitig heim nach Haus
und ruhen noch auf ihren Lorbeeren aus

Als alles längst nun schon vergessen war,
da ging nach einem vollen halben Jahr
die Allgemeine Zeitung in das Land
und legte dann den ganzen Tatbestand
so recht loyal und kurz und bündig aus,
für alle Schöpf´ ein wahrer Ohrenschmaus

Von Hand in Hand ging da das Zeitungsblatt,
und Jubel war darob in Land und Stadt
Bei Schöpfen, Schafen, Lämmern überall
in jeder Pferch´ und Hürde, jedem Stall:
Wie sehen es ein, es ist uns allen lieb,
daß alles doch so recht beim alten blieb

Es ward dies Blatt sogar ein Freudenkeim
fürs alte Hammelburg und Bockenheim.
Schafhausen aber war ganz freudenvoll,
man sang und sprang, man tanzt´ und schrie wie toll,
und Dankadressen sandte man zum Lohn
der Allgemeinen Zeitungsredaktion

Doch aus den Böcken, nun, was ward denn draus ?
Sie flohen alle wohl zum Land hinaus,
und kämpften anderswo mit Tat und Wort
den Kampf für Freiheit mutig weiter fort ? –
Ach nein, sie wollten nur noch Hammel sein
und ließen sich beschneiden insgeheim.

26.Januar 1840 in:  Unpolitische Lieder , 2.Teil