Brief an Rudolf Müller in Holdorf

Fallersleben » ( 12. 11. 1848)

Am 12.11.1848, Berlin, an Rudolf Müller in Holdorf in Mecklenburg :

Lieber Rudolf ! Noch ist Berlin ruhig. Ich komme soeben aus der National-Versammlung, die jetzt im Schützenhause in der in der kleinen Königstraße seit 2 Uhr tagt. Nachdem das Protokoll verlesen war, ging der Präsident über auf die Adressen und Petitionen. Alle würden der Kürze nach von der Petitionskommission erwähnt werden, bei einer Adresse müsse jedoch eine Ausnahme stattfinden, diese sei eine vom Vorstande des Mecklenburgischen Landtags (Lautes anhaltendes Bravo !) Der Präsident las den Anfang (abermaliges Bravo und Beifallklatschen im Saale und auf der Galerie), und dann den Schluß. Die ganze Nationalversammlung erhob sich, des Jubels war kein Ende. Du kannst Dir denken, wie unendlich ich mich freute, daß auch ihr in diesem wichtigsten Augenblicke des Vaterlandes so brave Kerls seid.

Die Stimmung der Stadt ist ganz vortrefflich. Um 5 sollten die Gewehre abgeliefert werden, niemand denkt daran. Der Schützenhof ist von den Schützen und den fliegenden Korps abgesperrt. Noch ist kein Angriff geschehen. Ein Teil der Truppen hat Berlin verlassen, der größere aber alle strategisch wichtigen Punkte besetzt.

Ich sitze eben am Tische der Nationalzeitung. Zwei machen Berichte, einer korrigiert, und ich schreibe und erzähle, über uns aber gießen die Setzer in den Pausen – Kugeln. Die National-Subskription, die heute erst von hier ausging, um den unbemittelten Volksvertretern die Taggelder zu verabreichen – die Regierung zahlt seit vorgestern keine mehr – hat guten Fortgang; es sind schon über anderthalb hundert Taler eingelaufen, darunter ein silberner Teller und ein goldenes Armband.

So eben trifft die Nachricht ein: Berlin mit zwei Meilen im Umkreise ist in Belagerungszustand erklärt. Die National – Versammlung hat sich um 6 bis morgen um 11 Uhr vertagt. Was nun kommen wird, weiß niemand. Ich bin wohl und bleibe trotz Belagerungszustand. Dein H.v.F., (Briefe, S. 151)

Am 18. November geht er ins Finanzministerium. Nach stundenlangem Hin und Her, es stehen Soldaten vor der Tür, bekommt er endlich Geld: 250 Taler. Hat er bis dahin eigentlich nur vom Geld seiner Freunde gelebt ?

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(1848)
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