Er läse statt des Schi-King die Weinkarten und Speisezettel

Fallersleben » Biographie » ( 11. 12. 1834)

Lieber Freund!

Spät, aber nicht minder herzlich muss ich Ihnen noch meinen Dank sagen für die vielen freundlichen Beweise Ihrer Teilnahme. Ihnen zunächst verdanke ich den heiteren und erfolgreichen Aufenthalt zu Graz. Wenn Sie nächstens dahin schreiben, so bitte ich mich bestens zu empfehlen und alle meino Bekannten wissen zu lassen, dass ich noch oft und gern in froher dankbarer Erinnerung mit ihnen in Graz lebe. Schade, daß ich nicht, länger verweilen konnte! Es waren schöne Tage. So eben schreite ich zur Herausgabe des holländischen Gedichtes von Floris ende Blancefloer door Diederic van Assenede. Es wäre mir sehr angenehm, wenn nun auch Sie sich entschliessen wollten, für das französische Gedicht gleichen Inhalts etwas zu tun. Uhland hat mir seine Abschrift einer pariser Hs. abgetreten. Diese Hs. stimmt nur im Allgemeinen überein mit der im Romancero francais von Paulin Paris p. 55. 599 beschriebenen. (1833) Verschafften Sie sich nun davon vollständige Abschrift und nähmen die Uhlandsche dazu, so hätten Sie so ziemlich was Sie brauchen. In Wien würden Sie, oder in Leipzig, schon einen Verleger finden.
Es wäre doch schön, wenn wir doch Einen poetischen Stoff des Mittelalters, und namentlich diesen wunderlieblichen in allen Sprachen vor uns hätten. Das Verhältniss der einzelnen Literaturen und die Art und Weise, wie jedes Volk so etwas behandelte, würden lichter hervortreten als jetzt bei unserer beschränkten Kenntnis möglich wird. Nun, schreiben Sie mir Ihre Meinung, die Abschrift wartet auf Ihren Wink. Kommen Sie nicht bald nach Graz? Dort liegt eine PgHs. einer Kaiserchronik aus späterer Zeit, worin gewiss manches Eigenthümliche vorkommt. Ich bitte, selbige einzusehen. Ich konnte sie leider nicht benutzen.
Wenn Sie nächstes Jahr nach Dresden und Berlin gehen, so sprechen Sie auch bei uns vor. Vielleicht könnte ich Sie dann bis ins Gebirge oder nach Prag begleiten. Vertreiben Sie Endlicher die bösen Grillen! Er arbeitet offenbar zu viel. Es wäre oft gescheidter, er läse statt des Schi-King die Weinkarten und Speisezettel u. studierte die Naturgeschichte der Schmarren und horchte auf die Töne des Jägerhorns (Bräuner Strasse?) Grüssen Sie die ganze Bibliothecam Palatinam freundlichst von Ihrem

H. v. F.

  1. Ferd. Wolfs Stiefvater, Dr. Joseph Schwamberger, war einer der angesehensten Advocaten in Graz; an diesen war Hoffmann durch Wolf, der einen großen Teil seiner Jugendjahre in Graz zugebracht hatte, empfohlen worden.
  2. Das erwähnte Gedicht wurde in “ Horae Belgicae „, Pars 3, abgedruckt
  3. Das Jägerhorn Bräuner Strasse ist ein damals stark besuchtes Weinhaus

Zittau, 31. Dezember 1834, Brief an Ferdinand Wolf