Der Krieg kommt nach Fallersleben

Fallersleben » ( 24. 01. 1803)

Während dieser meiner friedlichen Zeit des Spielens und Lernens daheim sah es draußen sehr kriegerisch aus. Zu Anfange des Jahres 1803 hatte zwar Frankreich England den Krieg noch nicht erklärt, benahm sich aber schon längst sehr feindselig. Endlich wurde denn auch dem Kurstaat die Pflicht sehr nahe gelegt, sich zu rüsten und zu wehren. Am 16. Mai kam ein Regierungserlaß, jeder Unterthan solle sich zur Vertheidigung und Befreiung des Vaterlandes der Regierung zur Verfügung stellen, eine bis dahin in Hannover nie gekannte Maßregel.

Es wurden denn auch im Amte Fallersleben sofort Recruten ausgehoben. Wie es dabei herging, weiß ich nur vom Hörensagen. Die jungen Bauerkerle wurden Nachts aus ihren Betten geholt und wenn sie nicht willig folgten, mit Gewalt fortgeschleppt. Mein Vater erhielt den Befehl mit dem Amtschreiber von Blum diese gepreßten Vaterlandsvertheidiger nach Hannover zu geleiten, ein trauriges Geschäft! Nachdem sie auf dem Rathhause eingesperrt und bewirthet und dann theils gutwillig, theils mit Gewalt auf die Wagen gebracht waren, setzte sich der Zug unter dem Geheule der alten Weiber und Bräute in Bewegung und wurde eine weite Strecke dann von diesen begleitet.

Als sie in der List dicht vor Hannover ankamen, hieß es denn: ›et is te late, gân se man wedder na Hûs, de Herzog flüchtet eben tom Dore henût.‹ Schnell wie der Blitz sprang Alles von den Wagen herunter und bediente sich der Abwesenheit. Mein Vater aber ging nach Hannover hinein. Es war ihm eine willkommene Gelegenheit, sich die Hauptstadt, die er noch nicht kannte, anzusehen, und er sah sie sich gehörig an.

Schon in den letzten Tagen des Mais rückte Mortier von Holland aus ins Hannoversche ein, unterzeichnete den 3. Juni die Convention von Sulingen und hielt den 4. seinen Einzug in Hannover. Der Sulinger Convention folgte die noch schmählichere von Artlenburg am 5. Juli. Hannover war in den Händen der Franzosen, die sich durch das ganze Land vertheilten.

Auch Fallersleben blieb nicht verschont: eine Schwadron reitender Artillerie rückte ein und nahm auf lange Zeit Standquartier. Wir Kinder freuten uns über die schönen Uniformen und rothen Federbüsche, und zogen überall mit, wenn es Uebungen und Paraden gab. Wir konnten uns nur wundern, wenn wir zu Hause hörten: ›das sind unsere Feinde – wenn wir sie nur bald wieder los wären!‹ Als mein Bruder sich eines Tages sehr freute, daß der Trompeter so schön bliese, sagte der alte Bürgermeister Krüger: ›theuere Musik, lieber Herr Vetter, theuere Musik!‹
Unsere Feinde betrugen sich recht gut; sie waren leicht zufrieden zu stellen, sobald man ihnen nur freundlich entgegen kam und guten Willen zeigte.

Unter einander waren sie brüderlich einträchtig. Knechtischen Dienstgehorsam und rohe Behandlung von Seiten der Obern nahm man niemals wahr. Wir hatten so oft gehört, wenn ein Junge unartig war: ›wart! du sollst dem Kalbfelle folgen!‹ Das schien uns gar keine Strafe. Freilich hatte man uns früher das Soldatenleben als etwas Schreckliches geschildert: Prügel, Spießruthen, Gefängniß bei Wasser und Commißbrot. Wir spielten jetzt selbst Soldaten, und wenn einer nicht that was er sollte, so sperrten wir ihn ein: das kam auch bei den Franzosen vor und ging dort eben so lustig ab wie bei uns.

Das Jahr 1804 war angebrochen, eine Aenderung unserer Lage schien in weite Ferne gerückt, vorläufig blieb Alles beim Alten. Seit dem 19. Juni war Bernadotte Oberbefehlshaber. Die Lasten blieben dieselben. Im September (1805) schien es sich für uns besser zu gestalten: die Franzosen zogen ab und am 28. October rückten Preußen in Hannover ein, die hannoversche Regierung wurde hergestellt. Als aber am 2. December die Schlacht von Austerlitz für Oesterreich verloren ging, da gestaltete sich plötzlich Alles anders.

Einige Wochen nach dem Beginn des neuen Jahres 1806 rückten preußische Truppen unter dem Grafen Schuleuburg-Kehnert in Hannover ein. Der König von Preußen erklärte, die französischen Völker würden von nun an das Kurfürstenthum räumen und Preußen bis zum Frieden in Verwaltung und Obhut nehmen.

in Mein Leben, Band 1 , S. 12 f