Ich liebe den Sang ich liebe den Wein

Fallersleben » Trinklieder » ( 14. 04. 1854)

Ich liebe den Sang, ich liebe den Wein,
den Frühling mit seinen Rosen,
ich liebe die blühenden Mägdelein,
mit ihrem Lächeln und Kosen.

Ich möchte verbannen die Sorg´ und das Leid
und jegliche trübe Stunde,
daß heimlich nur würde die Heiterkeit
auf diesem Erdenrunde.

Heil dem Herzen, das da strebt
die Sünde zu fliehen und zu hassen
und allem, was in Freuden lebt,
auch seine Freude zu lassen !

Doch euer Dichten, euer Trachten
will nur vernichten, was wir lieben und achten.
Ihr könnt den Trieb, den mächtigen
nach Freude, nur verdächtigen !

Was gilt euch eines Herzens Zug,
was seiner Lieb´ und Sehnsucht Flug ?
Euch ist jede menschliche Regung unerklärlich,
euch ist jede freie Bewegung staatsgefährlich.

Ha ! daß ihr nicht einem Freude gönnt !
Keinen wahrhaft erfreuen könnt !
Ihr Freudenverderber, ihr Lebenverkürzer,
ihr nennt mich einen – Weltumstürzer !

Ja, ich bin ein Weltumstürzer, ein stündlicher,
ein tatendurstiger, lustiger, gründlicher,
denn meine Welt voll goldigem Schein
ist diese Flasche mit kühlem Wein,
und ich wäre philisterdumm und kläglich,
wollt´ ich die Welt nicht stürzen um alltäglich.

Das Gefühl der Wahrheit müßt´ ich beleidigen,
wollt´ ich mich irgenwie noch verteidigen,
denn mein Vergehen kann jeder sehen:
Ich hab in der Hand hier den Tatbestand.

Draußen unter dem Kellerdach sehet nach !
Da stehen auf dem Küchenbrett wundernett
die Zeugen meiner Durstesqual allzumal,
die leeren Flaschen in langen Reih´ n –
die Schuld ist mein !

Ja, ich bin ein Weltumstürzer, ein stündlicher,
ein tatendurstiger, lustiger, gründlicher;
Denn die Flasche mit dem Wein,
das ist meine Welt allein,
und diese umzustürzen
bin ich bereit allezeit
zu meiner und anderen Lust,
keiner Reue mir bewußt.

Klein ist die Mühe, der Lohn ist groß,
denn diese Welt birgt in ihrem Schoß
die Fülle begeisternder Tugend,
die Lieb´ und Gemütlichkeit,
den Tatendrang der Jugend
und die Ahnung schönerer Zeit.

Dank ihm, der den Kummerwender,
dem Freudenspender,
den Saft der Reben
uns hat gegeben,
den Zaubertrank himmlischer Seligkeit
ins irdische Leben !
Kommt her, ich schenke dir ein !
Meine Freude soll dein,
mein Wein dein sein !

14. April 1854