Der Vater als Bürgermeister

Fallersleben » Biographie » ( 24. 02. 1808)

Auch das neue Jahr 1808 brachte uns keine Gewißheit über unser Schicksal, ob wir noch länger französisch bleiben oder nächstens dem neuen Königreich Westfalen einverleibt werden sollten. Vorläufig schien es, als ob wir für die Zwecke des Kaisers noch nicht genug ausgebeutet wären: Kriegssteuern und Einquartierungen dauerten fort.

Im Februar rückten zwei Schwadronen Cürassiere ein vom 11. Regimente und nahmen auf längere Zeit Standquartier. Trotzdem daß niemand von ihnen deutsch verstand, so gestaltete sich doch bald ein traulicher Verkehr zwischen Soldat und Bürger. Wenn es Streitigkeiten gab, so machte mein Vater mit Hülfe meines Bruders den glücklichen Schlichter. Meinem Bruder fiel der größte Theil der Bürgermeistereigeschäfte zu; er war sehr geschäftsgewandt und der einzige der des Französischen mächtig. Jung und lebenslustig wie die Officiere wurde er bald ihr Freund und durfte bei ihren Zusammenkünften nie fehlen. Ich erinnere mich noch, wie er mit ihnen kegelte, mit ihnen trank und sang, scherzte und lachte.

Die Gemeinen hielten unter einander gute Kameradschaft. Selbst bei ihren Trinkgelagen ging es heiter und friedlich zu. Wer singen konnte, sang, die auderen hörten mit Wohlgefallen zu, dann stimmten auch wol mal alle einen Rundgesang an: „Battons le fer, tandis qu´il est rouge Battons le fer, tandis qu´il est chaud! Haut le marteau! bas le marteau!“ Sie hielten das Glas hoch empor, senkten es dann und tranken es schließlich aus.

Ihnen gegenüber erfreuete sich Monsieur le bourguemestre, mein Vater, eines hohen Ansehens, weil er sich vor niemandem fürchtete, und im Bewußtsein, nur das Rechte zu wollen, sich auch vor niemandem zu fürchten brauchte. Schon seine stattliche Gestalt, seine Körperstärke und Gewandtheit, mehr aber noch seine ganze Art und Weise, wie er auftrat, waren achtunggebietend. Kein anderer hätte das wagen dürfen was er wagte. Eines Tages sahen wir zwei Cürassiere mit ihren langen Degen unter dem Arme in einen Garten laufen. Wir blieben von ferne stehen. Sie zogen sich aus bis auf die Unterkleider und wollten eben mit einander duellieren. Da kam mein Vater, der von der Geschichte benachrichtigt war, eilig dazu, suchte sie zu beschwichtigen, und als das nicht gelingen wollte, wand er ihnen die Degen aus den Händen. Sie ließen sich das ruhig gefallen, mein Vater gab ihnen die Waffen zurück, und der Kampf war vorläufig beendet.

in Mein Leben , S. 19f