August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Fallersleben » Biographie » ( 24. 02. 1892)

August Heinrich, Sprachforscher und Dichter, geb. 2. April 1798 zu Fallersleben im Braunschweigischen, wonach er sich H. von Fallersleben nannte, besuchte 1816 die Universität Göttingen, um Theologie zu studieren, widmete sich aber, von Benecke angeregt, mit Vorliebe dem Studium der vaterländischen Litteratur, dem er auch in Bonn, wohin er sich 1819 wandte, treu blieb.

Nachdem er 1821 in Leiden ein halbes Jahr lang Forschungen über die altniederländische Litteratur angestellt, privatisierte er in Berlin, wurde 1823 Kustos an der Universitätsbibliothek in Breslau, 1830 außerordentlicher und 1835 ordentlicher Professor der deutschen Sprache daselbst. Wiederholte Reisen nach Österreich (1827 und 1834), Dänemark (1836), Holland und Belgien (1837), in die Schweiz (1839) hingen mit seinen wissenschaftlichen Bestrebungen eng zusammen.

Sein Amt bei der Bibliothek hatte er bereits 1838 freiwillig niedergelegt, als er durch Dekret vom 20. Dez. 1842 wegen politisch anstößiger Grundsätze und Tendenzen, die er in den „Unpolitischen Liedern“ (Hamb. 1840-41, 2 Bde.; 2. Aufl. des 1. Bandes 1842) ausgesprochen haben sollte, ohne Pension seiner Professur enthoben wurde. In der Folge aus mehreren deutschen Bundesstaaten polizeilich ausgewiesen (vgl. „Zehn Aktenstücke über die Amtsentsetzung des Professors H.“, Mannh. 1843), führte er nun jahrelang ein unstetes Wanderleben, bis er sich 1845 in Mecklenburg Heimatsrecht erwarb.

1848 auch in Preußen rehabilitiert, bezog er seitdem das gesetzliche Wartegeld als Pension und ließ sich 1853 in Weimar nieder, wo er mit Oskar Schade die „Weimarischen Jahrbücher für deutsche Sprache etc.“ herausgab, welche indessen nach kurzem Bestehen wieder eingingen. In Weimar entstanden noch „Theophilus“, die Ausgabe eines niederdeutschen Schauspiels aus der Mitte des 15. Jahrh. (Hannov. 1853), und eine „Geschichte der deutsch-lateinischen Mischpoesie“.

Seit 1860 vom Herzog von Ratibor zum Bibliothekar auf Schloß Korvei ernannt, starb er daselbst 19. Jan. 1874. In seinem Geburtsort wurde ihm 1883 ein Denkmal (Obelisk) errichtet. Außer den bleibenden Verdiensten, die sich H. durch Veröffentlichung älterer deutscher Litteraturdenkmäler erworben hat, gewann er durch seine heitern, leicht singbaren Lieder einen allgemein anerkannten Dichternamen. Ohne besondere Tiefe, faßte er die Ansichten der überwiegenden Anzahl seiner Zeitgenossen in kurze, meist epigrammatische Gedichte, die allerdings oft keck, mitunter selbst scharf und verletzend gehalten sind, im allgemeinen jedoch mehr auf das Possenhafte und Kindlich-Spielende als auf das Sarkastische hinauslaufen. Er traf, wie kaum ein andrer Dichter der Neuzeit, durch Einfalt und Innigkeit den Ton des echten Volksliedes, und nicht wenige seiner Lieder sind Eigentum des Volkes geworden. Obgleich nicht musikalisch gebildet, gab er doch dazu die anmutigsten Melodien an, die nur künstlerisch verarbeitet zu werden brauchten.

Gleichzeitig mit seinen „Liedern und Romanzen“ (Köln 1821) erschienen die „Bonner Bruchstücke von Otfried“ (Bonn 1821), denen die „Althochdeutschen Glossen“ (Bresl. 1826), die „Alemannischen Lieder“ (das. 1827; 5. Aufl., Mannh. 1843), eine Sammlung von „Gedichten“ (Bresl. 1827), „Wilirams Übersetzung und Auslegung des Hohenliedes“ ^[richtig: Williram's Übersetzung …] (das. 1827), „Jägerlieder“ (das. 1828), die „Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur“ (das. 1830-37, 2 Bde.), „Reineke Vos“ (das. 1834), eine neue Sammlung von „Gedichten“ (Leipz. 1834, 2 Bde.; vermehrte Ausg. 1843), die „Sumerlaten, mittelhochdeutsche Glossen aus den Handschriften der Hofbibliothek zu Wien“ (Wien 1834), die mit Endlicher aufgefundenen und herausgegebenen „Fragmenta theotisca“ (2. Aufl., das. 1841), die „Monumenta Elnonensia“ (Gent 1837, 2. Aufl. 1845), das „Buch der Liebe“ (Bresl. 1836) und eine dritte Sammlung von „Gedichten“ (das. 1837) folgten.

Für die altniederländische Litteratur sind besonders wertvoll die unter dem Titel: „Horae belgicae“ (Berl. u. Leipz. 1830-62, 12 Tle.) herausgegebenen Abhandlungen und Litteraturdenkmäler. Mit M. Haupt veröffentlichte er „Altdeutsche Blätter“ (Leipz. 1835-40, 2 Bde.), eine reiche Sammlung kleinerer Quellen und Abhandlungen. Litterarhistorische Monographien von Wert sind seine Biographien Joh. Chr. Günthers (Bresl. 1832) und Barth. Ringwaldts und Benj. Schmolcks (das. 1833) sowie seine reichhaltige „Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit“ (das. 1832, 3. Aufl. 1861).

Er veröffentlichte ferner: „Michael Vehes Gesangbüchlein vom Jahr 1537“, das älteste katholische Gesangbuch (Hannov. 1853); „Hannoversches Namenbüchlein“ (das. 1852); „Kasseler Namenbüchlein“ (Kass. 1863); „Braunschweiger Namenbüchlein“ (Braunschw. 1866); „Lieder der Landsknechte unter Georg und Kaspar v. Frundsberg“ (Hannov. 1868); „Henneke Knecht, ein altes niederdeutsches Volkslied“ (Berl. 1872); „Unsre volkstümlichen Lieder“ (3. Aufl., Leipz. 1869). Eine bibliographische Übersicht des Gebiets der deutschen Philologie gab er in dem Werk „Die deutsche Philologie im Grundriß“ (Berl. 1836); auch lieferte er ein „Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in der Hofbibliothek zu Wien“ (Leipz. 1841) und „Spenden zu deutschen Litteraturgeschichte“ (das. 1844, 2 Tle.).

Er gab die „Monatsschrift von und für Schlesien“ (Bresl. 1829, 2 Bde.) heraus, ferner „Schlesische Volkslieder mit Melodien“ (Leipz. 1842), „Politische Gedichte aus Deutschlands Vorzeit“ (das. 1843), „Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts“ (2. Aufl., das. 1860) und „Ruda. Polnische Volkslieder der Oberschlesier“ (Kassel 1865).

Den „Unpolitischen Liedern“ schließen sich von eignen Dichtungen an: „Deutsche Lieder aus der Schweiz“ (Zürich 1843 u. 1845); „Deutsche Gassenlieder“ (2. Aufl., das. 1845); „Diavolini“ (2. Aufl., Darmst. 1847); „Hoffmannsche Tropfen“ (Zürich 1844). In andrer Richtung bewegten sich: „Fünfzig Kinderlieder“ (4. Aufl., Hamb. 1866); „Maitrank“ (Par. 1844); „Salonlieder“ (Zürich 1844); „Fünfzig neue Kinderlieder“ (3. Aufl., Stuttg. 1874); „Vierzig Kinderlieder“ (Leipz. 1847); „Hundert Schullieder mit Volksweisen, herausgegeben von L. Erk“ (das. 1848); „Deutsches Volksgesangbuch“ (das. 1848); „Liebeslieder“ (Mainz 1851); „Heimatklänge“ (das. 1850); „Rheinleben“ (das. 1851); „Soldatenlieder“ (das. 1851); „Kinderwelt in Liedern“ (das. 1853); „Lieder aus Weimar“ (3. Aufl., Hannov. 1857) und seine letzten politischen Gedichte, die „Streiflichter“ (Berl. 1871). 1858 begann er seine „Findlinge“ (Leipz. 1859-60, 4 Hefte), ein Sammelwerk von seltenem oder bisher unbekannt gebliebenem Material zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung.

Eine Auswahl seiner „Gedichte“ erschien unmittelbar nach des Dichters Tod als 8. Auflage (Berl. 1875); eine Sammlung seiner sämtlichen Kinderlieder veranstaltete L. v. Donop (das. 1877). Eine nicht durchgehends erfreuliche, aber inhaltreiche und instruktive Autobiographie veröffentlichte H. in dem sechsbändigen Werk „Mein Leben“ (Hannov. 1868-70). Nach seinem Tod erschienen „Briefe von H. von Fallersleben und M. Haupt an Ferdinand Wolf“ (Wien 1874). Vgl. J. M. Wagner, H. von Fallersleben 1818-68 (Wien 1869; Nachtrag, Dresd. 1870); Gottschall, Porträts und Studien, Bd. 5 (Leipz. 1876).

in: Meyers Konversationslexikon ,
Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien,
Vierte Auflage, 1885-1892